27 Juli 2010

Recommended Listening (Pt. 1)

Kein Sommer der Liebe

Greie Gut Fraktion „Baustelle“
anbb „Red Marut Handshake“

Wie kommt es eigentlich, dass nach jahrelangen intensiven Konsum an Musik und dem gegenwärtigen Überangebot dergleichen, es immer wieder Platten gibt, die hängen bleiben und einen Eindruck hinterlassen? Welchen Softspot sprechen diese Platten an, auf das man anfängt sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen, in repeat zu hören und den Referenzkasten zu durchwühlen?
Es sind zwei Platten aus Berlin, die im diesjährigen Sommer für mich heraus scheinen. Keine Sommerplatten für den Baggerseekurzurlaub oder zum Warmes-Bier-Im-Park trinken, sondern Platten die spröde, sperrig, substantiell, kunstvoll, ambitioniert und schwierig sind. Platten, die dorthin gehen wo es weh tut, die Aufarbeitungen provozieren und Universen aufeinanderprallen lassen. Und sich auf eine Weise ähneln, die kein Zufall sein kann. Sind sie doch einmalige Kollaborationen von sich gegenseitig schätzenden Künstler/innen, die ihre verschiedenen Erfahrungen aus Ost/West und Achtziger/Neunziger/Tausender-Jahre miteinbringen.
Die Greie Gut Fraktion besteht aus den Antye Greie und Gudrun Gut. Gudrun Gut hat in den letzten dreißig Jahren die Berliner Undergroundmusik geprägt wie keine andere Frau dieser Stadt: Neubauten, Malaria, Monika Enterprises und Ocean Club. Antye Greie hat mit der Band Laub knarzende Pop-Elektronik mit sperriger Kunstlyrik verbunden und war beim seeligen Kitty Yo-Label zuständig für den Link zum Diskurs zur Kunstakademien. Beide zusammen haben jetzt als Greie Gut Fraktion die Platte "Baustelle" veröffentlicht, auf dem sie Fieldrecordings von, nun ja, Baustellen benutzen, elektronisch aufarbeiten und mit manchmal mehr, manchmal weniger holprigen Beats unterlegen. Was klingt erstmal wie pures Gähnen, ist aber höchst ambitioniert und mehr als gelungen. So verwebt sich der Klang von Betonmischern, Bohrhämmern, Akkuschraubern und Kettensägen kunstvoll zu dub-ambient-elektronischen Soundcollagen voll kühler Athmospähre die gleichzeitig Zerstörung und Aufbau atmet. In "Cutting Trees" hört man das Surren einer Motorsäge, während ein Stimme im Hintergrund haucht "cutting trees give space", der Palais-Schaumburg-Klassiker "Wir bauen ein Stadt" wird zum urbanen Baustellen-Dub mit allerlei Maschinengeräuschen und "Mischmaschine" recycelt das Geräusch eines Betonmischers zum Beat eines Dubstep-Ungetüms.

Zum Duo anbb haben sich Alva Noto aka Carsten Nicolai und Blixa Bargeld zusammengefunden. Carsten Nicolai hat sich in den letzten Jahren einen Namen als technokratischer Künstler und Musiker gemacht, der seine Werke fast bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Blixa Bargeld ist als Sänger der Einstürzenden Neubauten fast schon ein Kulturdenkmal. Zwar hat er in den letzten Jahren wenig aufregendes produziert, doch ist sein Stimme und lyrisch-romantische Kraft immer noch ein hell strahlender Stern am Himmel. Mit anbb treffen beide Ansätze perfekt aufeinander. Da ist die kalt-minimalistische Elektronik samt auftretender Störgeräusche des Carsten Nicolai, die sich an der schrill-markanten Stimme des Blixa Bargeld reibt, die in diesem Umfeld wiederum selbst zum Maschinegeräusch mutiert, ein Konzept, das schon die Neubauten in ihrer Anfangszeit, freilich mit analogen Mitteln, perfektionierten. Beide Ansatzpunkte zusammengefasst finden eine perfekte Mischung und so entstand mit "Red Marut Handshake" ein Platte, die wie feindliche Wetterzonen zu einem düsteres Gewitter aufeinanderprallen und sich in schillernden Farben entlädt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.