29 Juli 2010

Wir sind die Nattern...

Die aktuelle Ausgabe des Kulturspiegels macht mit einem Interview mit Daniel und Angela Richter auf. Daniel Richter, der seine Karriere als Zeichner für das Cover des ersten Angeschissen-Album begann und dessen Bilder jetzt sechsstellig verkauft werden, ist längst im Hochkulturbetrieb angekommen und gestaltet in dieser Saison Szenenbilder für die Salzburger Festspiele. Seine Frau Angela ist ebendort als Regisseurin tätig.
Daniel Richter hat sich immer explizit zu seinem linksautonomen Hintergrund bekannt und nutzt, trotz seiner vielfältigen Verbindungen zur kommerziellen Kunstwelt, seine Medienpräsenz zur Kritik am Waren- und Marketingfetisch der Kunst. Zuletzt im Rahmen der Besetzung des Hamburger Gängeviertels. Naheliegend, dass der Kulturspiegel diesen Widerspruch zwischen linkem Selbstverständnis und Hochkulturpopanz aufnimmt. Angela Richters Replik dazu: "Vielleicht sind wir ja die Nattern, die sich an deren Busen nähren"

27 Juli 2010

Recommended Listening (Pt. 1)

Kein Sommer der Liebe

Greie Gut Fraktion „Baustelle“
anbb „Red Marut Handshake“

Wie kommt es eigentlich, dass nach jahrelangen intensiven Konsum an Musik und dem gegenwärtigen Überangebot dergleichen, es immer wieder Platten gibt, die hängen bleiben und einen Eindruck hinterlassen? Welchen Softspot sprechen diese Platten an, auf das man anfängt sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen, in repeat zu hören und den Referenzkasten zu durchwühlen?
Es sind zwei Platten aus Berlin, die im diesjährigen Sommer für mich heraus scheinen. Keine Sommerplatten für den Baggerseekurzurlaub oder zum Warmes-Bier-Im-Park trinken, sondern Platten die spröde, sperrig, substantiell, kunstvoll, ambitioniert und schwierig sind. Platten, die dorthin gehen wo es weh tut, die Aufarbeitungen provozieren und Universen aufeinanderprallen lassen. Und sich auf eine Weise ähneln, die kein Zufall sein kann. Sind sie doch einmalige Kollaborationen von sich gegenseitig schätzenden Künstler/innen, die ihre verschiedenen Erfahrungen aus Ost/West und Achtziger/Neunziger/Tausender-Jahre miteinbringen.
Die Greie Gut Fraktion besteht aus den Antye Greie und Gudrun Gut. Gudrun Gut hat in den letzten dreißig Jahren die Berliner Undergroundmusik geprägt wie keine andere Frau dieser Stadt: Neubauten, Malaria, Monika Enterprises und Ocean Club. Antye Greie hat mit der Band Laub knarzende Pop-Elektronik mit sperriger Kunstlyrik verbunden und war beim seeligen Kitty Yo-Label zuständig für den Link zum Diskurs zur Kunstakademien. Beide zusammen haben jetzt als Greie Gut Fraktion die Platte "Baustelle" veröffentlicht, auf dem sie Fieldrecordings von, nun ja, Baustellen benutzen, elektronisch aufarbeiten und mit manchmal mehr, manchmal weniger holprigen Beats unterlegen. Was klingt erstmal wie pures Gähnen, ist aber höchst ambitioniert und mehr als gelungen. So verwebt sich der Klang von Betonmischern, Bohrhämmern, Akkuschraubern und Kettensägen kunstvoll zu dub-ambient-elektronischen Soundcollagen voll kühler Athmospähre die gleichzeitig Zerstörung und Aufbau atmet. In "Cutting Trees" hört man das Surren einer Motorsäge, während ein Stimme im Hintergrund haucht "cutting trees give space", der Palais-Schaumburg-Klassiker "Wir bauen ein Stadt" wird zum urbanen Baustellen-Dub mit allerlei Maschinengeräuschen und "Mischmaschine" recycelt das Geräusch eines Betonmischers zum Beat eines Dubstep-Ungetüms.

Zum Duo anbb haben sich Alva Noto aka Carsten Nicolai und Blixa Bargeld zusammengefunden. Carsten Nicolai hat sich in den letzten Jahren einen Namen als technokratischer Künstler und Musiker gemacht, der seine Werke fast bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Blixa Bargeld ist als Sänger der Einstürzenden Neubauten fast schon ein Kulturdenkmal. Zwar hat er in den letzten Jahren wenig aufregendes produziert, doch ist sein Stimme und lyrisch-romantische Kraft immer noch ein hell strahlender Stern am Himmel. Mit anbb treffen beide Ansätze perfekt aufeinander. Da ist die kalt-minimalistische Elektronik samt auftretender Störgeräusche des Carsten Nicolai, die sich an der schrill-markanten Stimme des Blixa Bargeld reibt, die in diesem Umfeld wiederum selbst zum Maschinegeräusch mutiert, ein Konzept, das schon die Neubauten in ihrer Anfangszeit, freilich mit analogen Mitteln, perfektionierten. Beide Ansatzpunkte zusammengefasst finden eine perfekte Mischung und so entstand mit "Red Marut Handshake" ein Platte, die wie feindliche Wetterzonen zu einem düsteres Gewitter aufeinanderprallen und sich in schillernden Farben entlädt.

13 Juli 2010

Tuli Kupferberg gestorben

Tuli Kupferberg, Bohemian, Beatnik, Anti-Kriegs-Aktivist, Maler, situationistischer Aktionist, Sänger der Proto-Punk-Band The Fugs ist gestorben.
"Our goal was to make the revolution. That would have been a complete revolution, not just an economic or political one. We had utopian ideals and those are the best ideals. What happened was that this movement that flourished then had a lot of problems. "
Den Song "CIA Man" dürften alle kennen die den Film "Burn After Reading" gesehen haben...

09 Juli 2010

immer wieder schön (Teil 1)

Teenage Fanclub, 1991 - The Concept


Tocotronic, 1995 - Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk


Element Of Crime, 1991 - Mach das Licht aus wenn du gehst


Blumfeld, 1992 - Von der Unmöglichkeit Nein zu sagen

Das sinnloseste Gebäude der Stadt

Gestern feierte Politik und geladene Gäste das Richtfest für das wohl sinnloseste Gebäude der Stadt: die sogenannte Humboldt-Box. Von hier soll man, wenn es mal fertig ist, einen schönen Rundblick über die bekannteste Brachfläche der Stadt haben und sich über die zukünftige Bebauung und Nutzung dieser Brachfläche informieren können. Natürlich gegen Eintritt. Diese Brachfläche ist pittoresk eingerahmt von Spree, Dom und der temporären Kunsthalle und ein Witzbold hat ein überdimensionales Herz in der akkurat geschnitten Rasen getreten. An dieser Stelle stand einmal der Palast der Republik, lange davor das Königsschloss der Hohenzollern. Nun gibt es einige Berliner und beruflich Zugezogene die dieses Schloß wieder haben wollen, am liebsten mitsamt der untergegangenen barocken Fassadenpracht. Nur das Geld fehlt. Vor drei Jahren hat Bund und Senat schon mal 550 Millionen zugesagt um das Schloß wiederaufzubauen, doch diese Summe ist mittlerweile dem Sparprogramm der Bundesregierung zum Opfer gefallen bzw. wie es offiziell heißt verschoben auf 2013. Wir alle aber wissen, dass dies das Aus für das Schloß bedeutet. Wohl dosiert und auf Raten.
Aber noch schöner ist die Tatsache, das die Firma Megaposter, Initiator der Humboldt-Box und verantwortlich für die, tja, Megaposter an den Baugerüsten dieser Stadt, nun nicht mehr weiß wie der Bau finanziert werden soll. Ohne Schloß keine Werbung an Bauzaun und Baugerüst und auch kein Baustellenblick. Ohne Werbung und Baustellenblick keine Einnahmen für die Humboldt-Box. Am Ende bleibt dann wohl eine Investruine als grandioses Monument des Scheiterns.

08 Juli 2010

Fritz Teufel gestorben

"Nach meiner Weltanschauung ist feines Benehmen einerseits Zärtlichkeit, das gilt aber vielleicht nur unter Leuten die Widerstand leisten, weil es einfach notwendig ist. Wer sich anpasst, kann einfach nicht zärtlich sein, dass ist meine Erfahrung. Die andere Geschichte ist aber die, das feines Benehmen im Widerstand notwendig, unkonventionell und kriminell ist..."

06 Juli 2010

M.I.A.- Born Free

Romain Gavras, Sohn des Filmregisseurs Constantin Costa-Gavras, hatte schon vor zwei Jahre für Aufmerksamkeit gesorgt, als er im Videoclip zum Justice-Song Stress Jugendliche in einer französischen Vorstadt wahllos auf alles eintreten lies was ihnen in den Weg kommt. Die Medienaufmerksamkeit war groß und viele hielten das Video schlicht für eine Marketing-Provokotion.
Jetzt hat Gavras für die neue M.I.A.-Single "Born Free" eine Videoclip gedreht, indem US-Soldaten rothaarige Jugendliche verhaften und in sadistischer Art über ein Minenfeld jagen. Das Video ist vor allem abstoßend und shocking und damit genauso provokativ, aber auf eine sehr merkwürdige Art auch lustig. Viel stärker als beim Justice-Clip kommt hier, wenn auch in klischeehafter Art, ein Subtext durch. Die Szenerie erinnert stark an Irak oder Plästina (nur das es dort keine Rothaarigen gibt) und die wahllosen Gewalt der Soldaten beschwört das Klischee von skrupellosen Söldner. Aber dann gibt es in diesem Filmclip auch wieder merkwürdig ironische Momente. Zum Beispiel, als der eben verhaftete rothaarige Teenagerjunge in den Gefangenentransporter gestoßen wird erinnert das eher an eine Simpsons-Szene, die im Schulbus spielt. Und dann tragen fast alle Rothaarigen Nylon-Tracksuits und die Soldaten sehen auch eher aus wie fettleibige, donut-gemästete Polizisten. Welche Intention hatte Gavras also? Politisches Statement? Provokation? Medien-Aufmerksamkeit? M.I.A. selbst sagte dazu, der Clip sei als Kritik an der Anti-Terror-Politik der USA zu verstehen und sie selbst ist bekannt dafür, mit ihrer Symphatie für die tamilische Guerilla offen umzugehen. Aber smart wie M.I.A. ist müsste sie auch wissen, das in der Popkultur selbst die ernstgemeinteste Rebellion immer zur Karikatur wird.

M.I.A, Born Free from ROMAIN-GAVRAS on Vimeo.

02 Juli 2010

Wooden Shjips, Eagle Boston, Moon Duo - Festsaal Kreuzberg, 1.Juli 2010

Taking drugs to make music to take drugs to...
Als jemand der seine Teenagerjahre in der ostdeutschen Provinz zugebracht hat, habe ich eine gesunde Abscheu gegen Langhaarhippies und deren Vorliebe für Sechzigerjahre-Musik entwickelt. Dieses komplizierte Verhältnis hat sich erst entspannt, als ich die Spacemen 3 entdeckte und über diese Band sehr schnell zu Velvet Underground, Stooges und 13 Floor Elevators fand. Erstaunt stellte ich fest, dass es damals nicht nur lulligen Love&Peace-Brei gab, sondern Musik die wirklich gefährlich war.
Die Wooden Shjips aus San Francisco erinnern mich genau an diese Phase. Ihr ästhetischer Anspruch ist tief in den Sechzigern verwurzelt und sie verarbeiten Elemente der Jefferson Airplane und 13 Floor Elevators genauso wie Garagenkrach der Sonics und Stooges, nehmen aber auch Anleihen von Suicide und Spacemen 3. Die Musik der Wooden Shjips ist minimalistisch-repetetiv und lässt kein Klischee des Psychedelic Rock aus, weder die mäandernde Orgel, noch wabbernde Fuzzgitarren, noch die LSD-induzierten Backgroundvisuals. Böse Zungen sagen: Kennst du einen Song, kennst du alle. Stimmt. Aber während andere Bands versuchen, die Gunst des Publikums über wilde Bühnenaktion oder schrille Verkleidung zu gewinnen, spielen die Wooden Shijips stoisch ihre endlos langen Songs mit den immer gleichen schleifenden Bassläufen, pluckernde Drumpatterns und tief-halligen Gesang. Viel zu sagen haben die Herren sowieso nicht und Scheiße sehen sie auch noch aus. Also schließt das Publikum die Augen und geht trotzdem ab. Is this what mind-blowing means?
Vorbands an diesem Abend im Festsaal waren Eagle Boston und Moon Duo. Eagle Bosten haben sich ebenfalls der psychedelischen Musik gewidmet, erweitern dies aber ansprechend durch Artschoolpunk-Anleihen. Der niedliche Gesang der Sängerin passte aber nun gar nicht dazu und wirkte sehr deplaziert. Moon Duo waren irgendwie auch ein Witz. Man stelle sich die Wooden Shijps als verkleinertes Ensemble vor (ist ja auch das Nebenprojekt des WS-Gitarristen) nur das die fehlenden Musiker durch Beatbox und Sampler ersetzt werden.
Was noch auffiel: Das Rauchverbot in Clubs bedeutet auch, keine bewusstseinserweiternden Substanzen über Inhalationsverfahren einnehmen zu können. Irgendwie schade an diesem Abend....