17 Oktober 2010

Let Me Entertain You: Future Islands + Amplitude + Kid Ikarus @ Schokoladen, 16.Oktober 2010

In weiser Vorahnung habe ich mich sehr früh auf den Konzertweg gemacht und tatsächlich: Als ich zum Schokoladen kam, stand die Schlange schon bis zur nächsten Straßenecke. Angesichts des gegenwärtigen Hypes um die Future Islands war der Andrang zu erwarten und die Supportbands Amplitude und Kid Ikarus steigern den Hipness-Faktor noch um ein Vielfaches. Aber Dank des wohnzimmergroßen Bühnenbereichs im Schokoladen bedeutete das aber auch ein kuschliges Konzerterlebnis mit schwitzenden Körper ohne sozialen Sicherheitsabstand um mich herum. Da war ich froh, dass ich die Future Islands schon am Vortag in Potsdam ohne lästige Drängelei erleben konnte.

Kid Ikarus
durfte den Abend eröffnen und dieser kleine Spacke mit seiner selbstironischen Inszenierung als Szenelooser ohne Glamourfaktor passte genau in den Abend und in diesen Laden. Von der Musik müssen wir nicht sprechen, denn die war ungemein schlecht, unbedarft und simpel, aber Kid Ikarus’ Verkörperung der Widersprüchlichkeiten der berliner Ausgehgesellschaft ist ungemein unterhaltsam. Einerseits cooler Szenetyp mit Auskennersprech, andrerseits geschmackloser Haar- und Klamottenstil und unfähig die eigenen Instrumente zu bedienen. Arm aber sexy würde der Regierende Bürgermeister dazu sagen.

Kid Ikarus ist ja auch zu einem Viertel Amplitude. Das hat dann den Effekt, dass, kaum hat man sich von der Bar zurück in den Konzertraum gekämpft, da eine andere Band auf der Bühne steht. Und uns mit einer weiteren berliner Realität konfrontierte: Die vierte Amplitude fehlte, weil er am Vorabend in seiner Arbeitsstelle Spätverkauf überfallen wurde und nun im Krankenhaus liegt. Dieser Umstand schien kein Grund zur Trauer zu sein und Amplitudes Kindergeburtstags-Nintendo-Electro war so niedlich und fluffig und mit Tendenz zum Trash, dass man fast auf die Idee kam, auch nach den Gesundheits- oder Geisteszustand der verbliebenden Drei zu fragen. Stellt euch einfach Dan Deacon multipliziert drei (oder vier) vor. Oder guckt euch das Video zu "Das Gute Alte Gedöns" an und ihr wißt Bescheid.



Ein hoher Unterhaltungsmaßstab war also gesetzt als die Future Islands anfingen. Und unterhaltsam waren sie auch, aber auf eine völlig andere Art. Future Islands sind ja so was wie die Gossenversion von The Knife, mit einem Meat Loaf als Sänger, der aber absolut angepisst zu sein scheint, weil er in einer Gossenversion von The Knife spielen muss, anstatt bei Rock am Ring. Ist böser gesagt als gemeint. Sänger Sam scheint wirklich nett und sympathisch zu sein, aber seine Gesten, seine Theatralik und seine Stimmmodulation erinnert allzu oft an den Fleischklops plus anständigem Sauertopf. Diese unheimliche Ausstrahlung plus die ganz unbombastigen Synthieklänge plus New-Order-Bassgitarren machten die Show zu einem intensiv-düsteren Erlebnis. Und damit, trotz der Drängelei und Schwitzerei im übervollen Schokoladen-Wohnzimmer, mal wieder zu einem einzigartig Konzerterlebnis.

04 Oktober 2010

Kommando Sonne-Nmilch: The shape of Punk should be

Gestern wurde ich Zeuge des wohl besten Konzertes des Jahres 2010. Die Band Kommando Sonne-Nmilch um den Sänger Jens Rachut hat bewiesen, dass man auch mit 50+ noch weiß, wie Punk geht. Kein anderer Punksänger dieser Republik verkörpert the shape of Punk should be wie er. Ohne Pathos, ohne Modescheiß, ohne Diskurs, ohne Retrokonservatismus, sondern echtes Leben, echte Wut und auch echte Zärtlichkeit. Ohne Jens Rachut abfeiern zu wollen (auch weil er sich gegen das Starsystem der Musikindustrie mit aller Macht stemmt): Der Mann ist eine Legende und von seinen unzähligen Bands der letzten 25 Jahre, waren insbesondere Angeschissen und Blumen am Arsch der Hölle für mich das wohl prägendste Punkerlebnis meiner Adoleszenz. Rachut ist der große Grantler des Deutschpunks. Eine Mischung aus Mark E. Smith, Axel Prahl und Punkrock. Rachuts Texte sind skurille Alltagsbeobachtungen voller Zynismus. Zustandsbeschreibungen seiner depressiven Seele genauso wie Kampfansage gegen die normative Spießigkeit und das Richtige Leben im Falschen. Und dazu kann man auch noch pogen.
Rachut ist mittlerweile 53 Jahre alt, aber die emotionale Intensität seines Liveauftritts lässt sein Alter vergessen. Und Rachut ist dabei die uncoolste Persönlichkeit des Abends. Sein Stylebewußtsein liegt auf Hartz 4 Niveau. Er trägt Shorts von KIK, weiße Slipper und ein schlabberiges Hemd mit unsagbar schlechten Wildkatzenaufdruck. Was bei anderen Leuten ein modischen Statement wäre, ist bei Rachut einfach nur normal. Oder höchstens der Ausdruck für den Beschiss, den das Leben bereit hält...

Kommando Sonne-Nmilch – Faltenaffen

Wenn es Nacht wird und du schläfst, und dir fehlt ein Traum
Wenn es Herbst ist in deinem Leben
Wenn die Faltenäffchen kommen und dein Sack wird grau
Depressionen kommen und gehen

Wenn du leicht vergrätzt über Jugend hetzt und dein Kater wird zum Tiger
Deine Sätze, die du sprichst mit Frühjahranfang, wird es Zeit dir zu erklären

Da hilft kein Heulen, da hilft keine Creme
Man muss den Affen das Futter stehlen

Ist dein Körper welk, wie ein totes Krokodil
Deine Freundin sucht das Weite.
Sie hälts nicht aus, weil du am Jaulen bist
Und die Affen sind am Falten

Brillenträgerschlange
Faltenarschmatrose
Vergesslichkeitskaiser
Thrombosenkrebskollekte
Zukunftsangstbesitzer

Da hilft kein Schreien, da hilft keine Creme
Man muss der Scheiße ins Auge sehen

Frierst du immer mehr, sind deine Füsse kalt
Ruft der Tod dir ins Gewissen
Will er plötzlich, dass du eher kommen sollst

Lach doch mal!