26 Februar 2010

Entgrenzung und Entscheidung: Les Louise Mitchels im Black Fleck, 25.2.2010


Les Louise Mitchels haben sich nach einer französischen Anarchistin benannt, die für ihre aufrührerischen Aktionen ins Irrenhaus gesteckt wurde. Aber das ist längst nicht die einzigste Referenz, auf die man sich bezieht. Auf der Website der Les Louise Mitchels gibt es ein lange Liste von Einflüssen und da stehen neben den üblichen Verdächtigen wie NoMeansNo, Zappa und Kraftwerk, auch Namen von Intellektuellen und Künstlern von Pierre Bourdieu bis zu George Orwell. Die Selbstverständlichkeit mit der sich die Band auf solche Einflüsse bezieht, hebt sich bemerkenswert von der üblichen Intellektuellenfeindlichkeit im DIY-Untergrund ab, auf dessen Boden sich die Band immerhin schon seit ein parr Jahren bewegt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Les Louise Mitchells hierzulande völlig unbekannt sind, sind doch solche Referenzen das Monopol von Spex und Testcard und dessen Schreiber/innen und Leser/innen verirren sich selten in ein Kellerloch wie das Black Fleck oder Koma F. Und auch ich fühl mich hier ein bissel overdressed.
Mit den festgefahrenen Gewohnheiten des DIY-Ghettos bricht die Band aber auch an anderen Stelle: Die Website kommt statt schwarz und düster mit all seinen niedlich-handgemalten Grafiken und Selfmade-Videos quietschebunt daher. Platten teilt man sich mit Folklore-Orchestern, die Aufnahmen verteilt man freigiebig mittels Download und bei den Live-Auftritten gibt es nicht nur zwei Schlagzeuger, sondern auch einen ständigen Instrumentenwechsel. Gleichzeitig ist man sich der kulturellen Werte bewusst und nutzt die eigene Myspace-Seite zur Kritik an Mediengigant Rupert Murdoch.... Ob bewusst oder unbewusst: Hier ist Auflösung von Grenzen das Konzept und man setzt einen Kontrapunkt zu den allzu oft traditionalistischen und rückwärtsgewandten Ideologien des eigenen DIY-Kosmos. Und das wiederum ermöglicht neue Formen in Ausdruck und Sprache, auch um sich in seiner Bestimmung wiederfinden zu können. Olle Kamellen? Dann check out Ulrich Beck und Christoph Laus Buch "Entgrenzung und Entscheidung".

Musikalisch bringen Les Louise Mitchel einen nervös-frickligen Instrumental-/Mathrock aus Minuteman, NoMeansNo, Lightning Bolt und Valina. Unbedingt austesten! Live auf dem Köpi-Geburtstag am 26. Februar 2010...

www.louisemitchels.free.fr
www.myspace.com/louisemitchels

25 Februar 2010

A Taste For Bitters: Chokebore am 24. Februar 2010 im Festsaal Kreuzberg

Die übliche Floskel zur Band Chokebore geht ungefähr so: Wie kann eine Band aus dem sonnigen Hawaii nur so depressiv klingen? Hallo? Wir reden hier vom Land der Sonne, exotischen Drinks und ferrarifahrenden Privatdetektiven...
Kleine Zeitreise zurück in die Mittneunziger: Als Freund anständiger Gitarrenmusik hatte man es da wirklich nicht leicht. Grunge hatte sich grade mit einer Schrottflinte das Lebenslicht ausgeschossen und Techno war der Sound der Stunde. Bis plötzlich Chokebore auftauchten und auf dem Noiserocklabel Amphetamine Reptile eine überragende Platten („A Taste For Bitters“) veröffentlichten. Vom Grunge hatten Sie die Tempowechsel und Stimmungsschwankungen übernommen, vom AmRep-Sound die knarzenden Gitarren und schräge Rhythmik. Dazu Texte über Einsamkeit, Depression und Langweile, vorgetragen von einem Sänger, der obwohl nicht sonderlich gesangsbegabt, dank Stimmmodulation zu enormen Ausdruck fähig war. Und das im Zeitalter before Autotune... Der Chokebore-Sound war von allem etwas: Posthardcore, Noise, Emo, Hardrock und vor allem düster, so dass der Band schnell das Etikett Sadcore angehängt wurde. Irgendwann zur Jahrtausendwende wurde daraus ein straighter Indirock und die Band verabschiedete sich wenig später. Sänger Troy von Balthazar lebte abwechselnd in Paris und in Berlin und machte sich einen Namen als charmant-schelmischer Adam Green des Lo-Fi-Undergrounds und brach mit dieser Masche reihenweise Frauen- und Männerherzen.



Zu meiner großen Freude wurde dann Ende letzten Jahres von der Band eine Reunion angekündigt. Yippie.... Als ich dann hörte, dass sich die Sinnbus-Jungs der Sache annehmen, war ich noch mehr begeistert... Kann nur gut werden.
Das Konzert im Festsaal Kreuzberg war dementsprechend proppevoll und bestand zu guten Teilen aus älteren Herren und Damen, die die Band schon zu Ihrer Hochzeit vor 15 Jahre erlebt hatten. Dazu der übliche Querschnitt aus Szenehipstern und, ich vermute, den erwähnten gebrochenen Frauen- und Männerherzen.
Als Support wurden Hundreds aus Hamburg verpflichtet und die erwiesen sich als glatter Fehlgriff: Glattgebügelter Pianopop mit Tu-Mir-Nicht-Weh-Appeal und ich musste fortwährend an Loreal- und Du Darfst-Werbung denken, wenn es da nicht ein parr knarzende Laptop-Beats gegeben hätte. Die Sängerin, zwar mit großartiger Stimme gesegnet, erinnerte an den Jazzgesangkurs der Musikschule und fabulierte romantischen Kitsch von zwitschernden Vögeln und Sonnenuntergängen. Wieviel Geld hat Nino Skrotzki als Mitgift hingelegt, um Hundreds mit Sinnbus zu verkuppeln?
Mit dieser Frage im Kopf drängelte ich mich zur Umbaupause in die erste Reihe, um bei Chokebore ganz vorn zu sein. Um mich herum Menschen im Alter 35+. Tut auch mal gut... Und was soll ich sagen: Chokebore spielten ein fantastisches Konzert!! Der Lärm-Pegel erinnerte an selige Amrep-Zeiten und es wurden die dunkel-melancholischen Klassiker genauso gespielt wie losrockende Werke aus der Spätphase der Band. Chokebore wurde ja immer mit diesem Emo-Etikett versehen, aber bei dieser Band ist viel mehr drin. Das Konzert enthielt natürlich deutliche Elemente von Frühneunziger Emo: Sänger Troy lebt die Songs kathartisch aus und seine jodelhafte Stimmmodulation betont insbesondere die Midtempo-Songs besonders. Dazu die beiden Brüder zu seiner Rechten und Linken, die wie schlaksig-hünenhaft Gestalten wirken und ihre Instrumente mit den typisch gebeugten Rücken von Emo-Gitarristen spielen. Aber dennoch sind Chokebore keine Emoband und deren Songs klingen nicht nach Selbstmitleid und Verzweiflung, sondern sind lautstark, kraftvoll und energetisch. Das ist die wahre Kunst dieser Band: Spannung erzeugen durch Brüche aus atmosphärischer Dichte und einem hohen Energielevel und dieses Ergebnis widerrum ironisch brechen mittels charmanten Smalltalk mit dem Publikum und Witzeleien über den depressiven Grundton der Songs.

http://www.myspace.com/chokebore

22 Februar 2010

Baustellenparty mit La Stampa + Driver & Driver, 20.Februar 2010, Praterfoyer:



Wann endlich untersuchen ein parr schlaue Köpfe mal, warum es dem Staatsakt-Label immer wieder gelingt, mit seinen Neuveröffentlichungen einen mittelprächtigen medialen Hype zu generieren. Liegt das vielleicht am Referenzrahmen aus Bar 25-Szene-Bohei, Popkultur und ein wenig Sozialkritik, in dem sich Staatsakt tummelt? Möglich. Andere berliner Labels haben da andere Strategien und behaupten ihr öffentliches Standing dank Großmäuligkeit (Louisville) oder Netzwerkeln (Sinnbus). Gelegentlich werden bei Staatsakt ganz gute Platten veröffentlicht werden, auch wenn sich das Label hier und da an Generationsmissverständnissen verhebt (siehe die hormongesteuerten Chuckamuck). Die Artpop-Band La Stampa mitsamt ihrer alternden Szenegesichtern passt da hypetechnisch natürlich wie Arsch auf Eimer und wurde im Vorfeld schon allerortens abgefeiert und runtergenudelt (okay und sein wir ehrlich: Jörg Heisers ex-band Svevo hat Mitte der Neunziger wohl höchstens 300 Platten verkauft...) Nur einer war von dem Hype um die Band unberührt: Das Ordnungsamt Pankow teilte den Veranstaltern des Ballhaus Ost mitten im Soundcheck mit, das mit sofortiger Wirkung alle Veranstaltungen nach 22 Uhr untersagt sind. Das ist für eine medial breit angekündigte Recordreleaseparty eine Hypeband natürlich der Tod. Doch glücklicherweise existiert eine perfekte Szenevernetzung und Co-Veranstalter Ran Huber benötigte genau zwei Telefonanrufe, um als neuen Spielort das Praterfoyer in der Kastanienallee auszudealen. Distinktionstechnisch eine gute Entscheidung, treffen hier doch angesagte Hochkultur (Polesch, Hegemann) auf Touristenkultur (Kastanienallee, Kulturbrauerei) zusammen, und so wurde der Schwäbisierung des Prenzlauer Bergs mal wieder ein subversives Schnippchen geschlagen.
Doch mit dem spontanen Spielortwechsel begannen die Probleme: Das Praterfoyer versprühte rüden Baustellencharme, die Bühne glich der Komfortabilität eines Wohnwagens und die Lichtstimmung erinnerte an einen Bahnhofwartessaal in den Achtziger des letzten Jahrtausends. Dazu ein blecherner, katastrophaler Sound und so bekam der Abend schnell den Gestus einer improvisierten Probegroßraumparty mit gutangezogenen Szenepeople. Dieses Setting hatte die Band La Stampa nun wirklich nicht verdient, denn auf Platte klingt ihr schräger Artwavepop sehr frisch und attraktiv, im Baustellenambiente des Praterfoyers erinnerten sie jedoch stark an eine fahrig-unbedarfte Kunstschul-Coverband welche die Hits von Devo, Magazine und Josef K möglichst stilecht interpretieren wollte. Die feinen, glitzernden Unterschiede im Sound, die man auf ihrer Debüt-Platte „Pictures Never Stop“ vernimmt, die Wiederaneignung des New Wave unter dem Vorzeichen der 2010er Jahre und die lässige Verspieltheit samt ironisch-melancholischer Auswüchse kamen heute völlig abhanden. Die Band war sichtlich froh, als sie nach der Zugabe (peinlich, weil völlig ironiefrei: „All tThe Things She Said“) die improvisierte Bühne verlassen durften. Der Co-Veranstalter verabreichte zum Trost Wodka aus Plastikbechern und man hätte der Band noch viele Auftritte in kleinem Rahmen gewünscht, bevor sie ihre Karriere auf so unnachahmliche Weise versauen.


Driver&Driver - Umtausch Sofort!

Driver&Driver | MySpace Musikvideos

Aber wie sich herausstellte, war dass, was als Höhepunkt des Abends angekündigt war, nur der Beginn, denn nach La Stampa kamen noch Driver Driver. Das Duo (Patrick Catani und Chris Irmler) fügten sich in den rüden Baustellencharme des Praterfoyers prächtig ein (inzwischen hatte auch jemand die Stecker der Wartesaalbeleuchtung gezogen) und drückten vom ersten Ton aufs Gaspedal. Der prollige Dada-Deichkind-Elektropunk passte so wunderbar zur absurd-kaputt-peinlichen Atmosphäre des Abends, dass das Publikum sofort anfing zu kreischen. Jetzt konnten endlich Hemmungen fallen gelassen und zu Kirmestechno, Garagepunkschlagzeug, Elektrokrach und Dada-Texten wild mitgewippt werden. Chris Irmler trug ein schwarz-rot-goldnes Truckercap nebst Baumwollhemd und hatte zur Erinnerung die Texte auf Plastiktüten geschrieben und diese über sein Schlagzeug gehängt. Sänger Patrick Catani verschenkte Mon-Cheris an die Damen in der ersten Reihe und füllte die im zugewiesener Rolle als schräg-kaputter Freak mit Freude aus. Und so wurde dank Driver Driver aus dem Abend doch noch eine Feier mit knietiefer Ironie und Fuck-You-Attitüde und dieser ganzen Referenzballast aus Pop- und Kulturkritik wurde dankenswerter Weise über Bord geworfen. Das wäre unter den Vorrausetzungen des Ballhauses Ost wohl nicht passiert....

http://www.myspace.com/driveyouhome

http://www.myspace.com/lastampaberlin