30 April 2010

Ovo, Nadja, Thrones - Festsaal Kreuzberg, 29.04.2010

Bekanntermaßen ist Dronemusic aufgrund der seiner bedeutungsschweren Eintönigkeit nur schwer zu genießen (man erinnere sich an Earth-Song „Gold And Faceted“, der es in 30 Minuten Spielzeit auf genau einen Akkordwechsel bringt). Aber dennoch gibt es wohl keinen anderen Stil aus der unüberschaubaren Anzahl der Subgenres von Punk und Metal, welcher sowohl beim puristischen Fan als auch im intellektuellen Kunstbetrieb für soviel Diskussion sorgt. Die Szene ist zwar klein, die Wirkung aber enorm. So richtig verstanden habe ich die Aufgeregtheit um Dronemusic nie, vielleicht auch weil mir hier zuviel Ernsthaftigkeit drin steckt und ich an einer entwickelten ADS leide (leide?), die es mir schwer macht, die notwendige Konzentration für 60minütiges Gitarrenbrummen aufzubringen.

Das extensive Gitarrenbrummen hat aber einen anderen Vorteil: Man kann diese ganzen Soundfetischisten endlich einen Vogel zeigen, wenn diese mir wieder erzählen wollen, das der Klang technisch gesehen scheiße ist. Ganz einfach weil sich nicht abschließend klären lässt, ob der brummende, subfrequente Gitarrensound der Unfähigkeit des Soundmannes oder dem künstlerischen Wollen des Gitarristen zuzuschreiben ist. Diese Formen künstlerische Wollen gab es im Festsaal Kreuzberg in drei verschieden Ausprägungen zu begutachten: Ovo, Nadja und Thrones.

Da Bedeutungsschwere und Drone zusammen gehören wie die Faust aufs Auge, musste man sich auch an diesem Abend entsprechend theatralisch einschwingen: Die Djane fuhr den Sound zurück, das Licht wurde gedimmt und eine Person läuft barfuss durch den Saal und kündigt mit zarten Glockenklang das Konzert an. Das hat ein bisschen was von Teeruf-Ritualen japanischer Geishas, aber in Wirklichkeit ist die Person ein 100 Kilo schwerer Typ in schwarzen Rock und Wrestlingmaske, den man Minuten später auf der Bühne als (Stand)-Schlagzeuger der Band Ovo sieht. Der zweite Teil der Band, eine Gitarristin im eleganten schwarzen Schlitzkleid und zerrissenen Netzstrümpfen, steht breitbeiniger auf der Bühne als Courtney Love, trägt ebenfalls eine Maske, bei der man aber nicht genau erkennen kann, ob diese nun den Teufel oder ein Playboybunny darstellen soll. Und sie fällt insbesondere mit ihrem Gesang auf, der zwischen guttural und hysterisch-kreischend alterniert. Musikalisch ist der brummende, sludgige Basssound von Ovo nicht besonders auffallend, aber mit ihrem ästhetischen Konzept fügen sie der unspaßigen Ernsthaftigkeit der Droneszene eine notwendige Portion Selbstironie und Gendercrossing zu.

Von Gendercrossing sind die kanadischen Nadja weit entfernt, aber möglicherweise ist die Aufarbeitung von Geschlechterfragen bei einer Musikrichtung, die sich aus dem Doom und Black Metal entwickelt hat, dann doch zuviel verlangt. Wie bei Ovo wird auch bei Nadja als gemischtes Duo agiert, doch sind hier die Rollen traditionell verteilt: Der Mann spielt Gitarren und manipuliert allerlei technische Gerätschaften und die Frau zupft entrückt den Bass und steht dabei mit dem Rücken zum Publikum (das wäre dann wohl der theatralische Aspekt). Musikalisch aber sind Nadja allen anderen Bands dieses Genres meilenweit voraus und ihre Mischung aus Gitarrendröhnen, Bassbrummen und elektronischem Ambientnoise der ins trancehaft-ätherische hinüberreicht ein absolutes Fingerlecken. Songstrukturen sind hier komplett aufgelöst, es gibt nur noch Soundtexturen und Schichten aus übersteuerten, verzerrten und halligen Gitarren, angereichert mit allerlei Klang- und Noiseschnipsel. Nadja konstruieren klangliche Momentaufnahmen, die scheinbar ins unendliche ausgedehnt werden und deren Wirkung und Dichte mit jeder Sekunde gesteigert wird. Die psychedelische Wirkung auf einen toleranten Zuhörer kann enorm sein und ich war froh eine entspannte Position auf der Festsaal-Couch einnehmen zu können, um Nadjas Musik als offensives Hintergrundrauschen auf mich einwirken zu lassen. Es hat funktioniert.

Nach soviel Spektakel hatte es Thrones naturgemäß schwer. Auch wenn hinter diesem Projekt der Name Joe Preston steht, der nicht nur am wohl besten Melvins-Album „Lysol“ mitgearbeitet hat, sondern auch in anderen Formationen die Welt mit viel abstrakten Noise beschenkte und somit einer der Paten des aktuellen Doomdronehypes ist. Seine Songs waren gut und intensiv, vor allem sehr rhythmisch, aber nach dem nadjaschen Wall Of Dronesound fast schon artig und vorhersehbar. So ergab ich mich meiner schon oben erwähnten ADS und begab mich auf den Heimweg, den Kopf immer noch schwirrend von Sound und Drone.

ÖPNV-Erkennnisse No. 1

Das neue, großartige PG.LOST-Album "In Never Out" reicht punktgenau vom S-Bahnhof Babelsberg bis zum Kottbuser Tor inkl. zweimal Umsteigen. Die mitgeführte Flasche Bier war schon an der Möckernbrücke alle...

PG Lost

28 April 2010

DSDS vs Led Zep vs Blümchen: Pest, Pocken oder Cholera?

Letztes Jahr zu Weihnachten haben einige frustrierte englische Musikfans eine Facebook-Kampagne losgetreten und Castingshowhasser weltweit aufgefordert, Rage Against Machines „Killing In the Name of Love“ innerhalb einer Woche massenhaft downzuloaden. Ziel war es, dem englischen X-Faktor-Sieger, dessen Namen man mittlerweile auch schon wieder vergessen hat, die sicher geglaubte und prestigeträchtige Weihnachts-Nummer 1 in den Verkaufscharts streitig zu machen. Die Kampagne hat damals wunderbar funktioniert, Rage Against The Machine spendete alle Download-Tantiemen und der X-Faktor-Sieger hatte das Nachsehen, wurde dann aber zum Trost eine Woche später zur Nummer 1.
Tolle Idee dachten sich ein parr deutsche Stadionrocker und starteten gleichfalls eine Facebook-Kampagne, um den aktuellen DSDS-Sieger, dessen Name ich auch nicht kenne, die Nummer 1 in den deutschen Verkaufscharts streitig zu machen. Abgesehen davon, dass die Methode zur Ermittlung der Verkaufsplatzierung mindestens fragwürdig ist, erscheint der Kandidat der Stadionrocker als echter Witz. Ist es aber nicht. Ausgerechnet Led Zeppelins „Stairway To Heaven“ wird ins Rennen geschickt. Ein Lied, welches selbst eingefleischten Liebhabern ehrlicher Rockmusik zum Halse raushängen dürfte, auch wenn sie damit intime Erlebnisse ihrer Jugendzeit verbinden. Mal abgesehen davon, das die andere Hälfte der downloadaffinen Musikfreunde die Band nicht mal mehr kennen dürften bzw. schlichtweg egal ist.
Doch gerechterweise hat sich für diese Zielgruppe noch eine andere Alternative formiert und schickt Blümchens Kirmestechnokracher „Boomerang“ als Alternativkandidaten ins Rennen. Ich gebe zu: Auch wenn Blümchen ihre ersten Karriere als konstruiertes Castingprodukt begann und die Songs absoluter Müll sind, hat ihre jugendliche Gutgelauntheit auch bei mir sabbernd-symphatisierend Eindruck hinterlassen und ich erkenne ihr Spätwerk mit Bernd Begemann als durchaus ernstzunehmen an. Trotzdem frage ich entgeistert: Was ist schlimmer? Pest, Cholera oder Pocken?

27 April 2010

Ratz & Rübe: Arbeiten müssen

Ich habe neulich drüber nachgedacht, welche TV-Serien mich als Kind geprägt haben und ob meine Entwicklung anders verlaufen wäre, wenn ich mit Teletubbies und Spongebog groß geworden wäre. Dem Zeitgeist entsprechend waren, als ich klein war, reformpädagogische Kindersendungen angesagt: Sesamstraße und Rappelkiste. Sendungen voller moralischen Eifer, die den Kindern Gedanken an Widerspruch, Gleichheit und Solidarität näher bringen sollten. Die Eltern hassten diese Sendungen, weil dort kleine Kinder öffentlich die Zunge raussteckten und die angesprochenen Themen wegen des kindlichen Nachahmungsdrang die Kids zur sozialistischen Revolution führen würden.
Und wenn ich mich recht erinnere, fand ich die Rappelkiste immer anstrengend, weil, im Gegensatz zur Sesamstraße, dort alles so unspaßig und grau war. Aber gleichzeitig war ich fasziniert von den beiden Handpuppen, die so fucking cool und widerborstig waren. Deswegen. Ratz und Rübe: Vom Arbeiten müssen...

26 April 2010

The Beginning End Of Now: Papier Tigre am 24. April 2010 im Schokoladen, Berlin

Nachdem mein Tag negativ und mit verqollenen Augen wegen zweisamkeitiger Gefühlsduseleien begann und ich mich danach ärgernd und mühend mit prekären Tätigkeiten herumschlagen musste, während andere Menschen meines Alters in der Sonne oder auf dem Fußballplatz herumtollten, endete der Tag, wem sei Dank, dann doch in großer Euphorie, denn ich sah die wunderbare Band Papier Tigre im Schokoladen.
Wer die Band noch nicht kennt stelle sich ein gutes Stück experimentellen Wahnsinns aus schräger Gemütslage und frickligen Gitarrenkrach vor. Drei Menschen ausgerüstet mit Gitarren und Schlagzeug, die ständig zwischen rasiermesserscharfen Gitarrenminimalismus und naturgewaltigen Explosionen pendelten. Man könnte es fast Post-Hardcore nennen, wenn dieser Begriff nicht so unpassend wäre, aber potentielle Fans stellen sich jetzt bitte vor: frühe Fugazi, Big Black, Liars und Q And Not U zusammengeschüttelt, mit Komplexität, Leidenschaft und tribalistischen Drums angereichert und mit einem Hang für feine Melodien ausgeteilt.
Das die Band ohne Bass auskommt ist dabei nur eine kleine Anekdote am Rande. Fällt nämlich gar nicht auf, weil beide Gitaristen so geschickt mit- und gegeneinander spielen, dass alle Rockbassisten jetzt Angst um ihre Zukunft haben müssten.

Austesten: http://www.myspace.com/papiertigre

Probieren: http://www.mediafire.com/file/zhmummhdmay/The Beginning And End Of Now.rar