07 Januar 2011

Berlin-Film.

Oder auch nicht. Denn die Geschichte könnte genauso in Hamburg, Oberhausen oder Kassel stattfinden. Aber am ehesten doch in Berlin.
Der Titel ist angelehnt an ein Buch von Richard Sennet und ihr Auskenner könnt euch denken worum es geht: Ein Mensch im freien Fall der Prekariatsmaschinerie. Selbstverwirklichung war gestern...

06 Januar 2011

Aus aktuellem Anlass...

Aus aktuellem Anlass... "Wie kommen um das Kindlein zu huldigen." "Was huldigen? Ihr seid wohl besoffen..."

10 November 2010

Novemberlieder mit Former Ghosts, Zola Jesus und Xiu Xiu, 9.11.2010, Festsaal Kreuzberg

In Berlin hat sei gefühlten zwei Wochen die Sonne nicht mehr geschienen und langsam fängt der graue Herbst an, mir aufs Gemüt zu schlagen. Was könnte da besser sein, als die Stimmung mit ein Konzert von FORMER GHOSTS, ZOLA JESUS und XIU XIU weiter zu drücken. Erheiternde Musik hört sich anders an...

FORMER GHOSTS ist ja eigentlich eine One-Band-Band von Freddy Ruppert, wird aber durch die Mitarbeit von Jamie Stewart und Zola Jesus ein bisschen wie die Supergroup des Indi-Morbiden gehandelt. Dementsprechend düster und klaustrophob geht es bei FORMER GHOSTS zu und die ständigen Vergleiche zu Joy Division sind gut nachzuvollziehen. Bei FORMER GHOSTS kommt aber auch eine queere Komponente dazu und auch wenn es wie ein Klischee klingt: Schwule Männer haben offensichtlich einen weiter entwickelten Sinn für Style und Dramatik. Denn bei FORMER GHOSTS klingt trotz aller Zerbrechlickeit und autistischen Ausstrahlung des Freddy Ruppert immer auch das gewisse Opernhafte durch. Und das passt gut zu den klaustrophoben Beats und der minimalen Casioelektronik.

Dagegen klangen bei ZOLA JESUS die Beats, als ob man unter einer Eisenbahnbrücke steht und grade ein Güterzug rüberrollt. Ihre Klänge sind vor allem industriell und lärmig, die Songs apokalyptisch und ihr Gesang voller Dramatik. Ihr Auftritt beim Berlinfestival ging in der frühabendlichen Atmosphäre feierwütiger Festivalbesucher weitestgehend unter, aber hier und heute entfaltet ihr klischeefreier Düstersound seine volle Wirkung. ZOLA JESUS ist die Gothrock-Version von Kate Bush oder die Fever Ray ohne den ganzen konzeptionellen Ballast.

Bei XIU XIU weiß man ja nie so richtig, ob sie es banal oder brutal meinen. Ihre Texte sind tieftraurig und oft mit Sarkasmen gespickt. Das Video zu „Dear God I Hate Myself“ zeigt Sänger Jamie Stewart wie er genüsslich Schokolade vertilgt, während sich Bandpartnerin Angela Seo den Finger in den Hals steckt und unter Schmerzen übergibt. Musikalisch changieren XIU XIU von bittersüßen Akustiksongs über lupenreinen Pop zu dröhnender Kakophonie bis zu Kinderzuimmer-Spielzeug-Trashsound. In dieser Band sind musikalisch so viele Aspekte zu finden, dass es schwer fällt sie zu beschreiben, aber genau diese Zerrissenheit ist das Geheimnis ihres Zaubers. XIU XIU’s Musik ist ein fein ausbalanciertes Gebilde aus Pop und Noise, der den Zuhörer hin und her wirft, der Spannungen aufbaut und wieder verwirft. Jamie Stewart ist einer der größten, aber unterbewertesten Crooner der Indiewelt, der die Zuhörer mit seelenstrippender Ehrlichkeit genauso wie mit kakophonischer Abschreckung unterhält und am Ende genauso zerrissen stehen lässt, wie er selbst ist.

17 Oktober 2010

Let Me Entertain You: Future Islands + Amplitude + Kid Ikarus @ Schokoladen, 16.Oktober 2010

In weiser Vorahnung habe ich mich sehr früh auf den Konzertweg gemacht und tatsächlich: Als ich zum Schokoladen kam, stand die Schlange schon bis zur nächsten Straßenecke. Angesichts des gegenwärtigen Hypes um die Future Islands war der Andrang zu erwarten und die Supportbands Amplitude und Kid Ikarus steigern den Hipness-Faktor noch um ein Vielfaches. Aber Dank des wohnzimmergroßen Bühnenbereichs im Schokoladen bedeutete das aber auch ein kuschliges Konzerterlebnis mit schwitzenden Körper ohne sozialen Sicherheitsabstand um mich herum. Da war ich froh, dass ich die Future Islands schon am Vortag in Potsdam ohne lästige Drängelei erleben konnte.

Kid Ikarus
durfte den Abend eröffnen und dieser kleine Spacke mit seiner selbstironischen Inszenierung als Szenelooser ohne Glamourfaktor passte genau in den Abend und in diesen Laden. Von der Musik müssen wir nicht sprechen, denn die war ungemein schlecht, unbedarft und simpel, aber Kid Ikarus’ Verkörperung der Widersprüchlichkeiten der berliner Ausgehgesellschaft ist ungemein unterhaltsam. Einerseits cooler Szenetyp mit Auskennersprech, andrerseits geschmackloser Haar- und Klamottenstil und unfähig die eigenen Instrumente zu bedienen. Arm aber sexy würde der Regierende Bürgermeister dazu sagen.

Kid Ikarus ist ja auch zu einem Viertel Amplitude. Das hat dann den Effekt, dass, kaum hat man sich von der Bar zurück in den Konzertraum gekämpft, da eine andere Band auf der Bühne steht. Und uns mit einer weiteren berliner Realität konfrontierte: Die vierte Amplitude fehlte, weil er am Vorabend in seiner Arbeitsstelle Spätverkauf überfallen wurde und nun im Krankenhaus liegt. Dieser Umstand schien kein Grund zur Trauer zu sein und Amplitudes Kindergeburtstags-Nintendo-Electro war so niedlich und fluffig und mit Tendenz zum Trash, dass man fast auf die Idee kam, auch nach den Gesundheits- oder Geisteszustand der verbliebenden Drei zu fragen. Stellt euch einfach Dan Deacon multipliziert drei (oder vier) vor. Oder guckt euch das Video zu "Das Gute Alte Gedöns" an und ihr wißt Bescheid.



Ein hoher Unterhaltungsmaßstab war also gesetzt als die Future Islands anfingen. Und unterhaltsam waren sie auch, aber auf eine völlig andere Art. Future Islands sind ja so was wie die Gossenversion von The Knife, mit einem Meat Loaf als Sänger, der aber absolut angepisst zu sein scheint, weil er in einer Gossenversion von The Knife spielen muss, anstatt bei Rock am Ring. Ist böser gesagt als gemeint. Sänger Sam scheint wirklich nett und sympathisch zu sein, aber seine Gesten, seine Theatralik und seine Stimmmodulation erinnert allzu oft an den Fleischklops plus anständigem Sauertopf. Diese unheimliche Ausstrahlung plus die ganz unbombastigen Synthieklänge plus New-Order-Bassgitarren machten die Show zu einem intensiv-düsteren Erlebnis. Und damit, trotz der Drängelei und Schwitzerei im übervollen Schokoladen-Wohnzimmer, mal wieder zu einem einzigartig Konzerterlebnis.

04 Oktober 2010

Kommando Sonne-Nmilch: The shape of Punk should be

Gestern wurde ich Zeuge des wohl besten Konzertes des Jahres 2010. Die Band Kommando Sonne-Nmilch um den Sänger Jens Rachut hat bewiesen, dass man auch mit 50+ noch weiß, wie Punk geht. Kein anderer Punksänger dieser Republik verkörpert the shape of Punk should be wie er. Ohne Pathos, ohne Modescheiß, ohne Diskurs, ohne Retrokonservatismus, sondern echtes Leben, echte Wut und auch echte Zärtlichkeit. Ohne Jens Rachut abfeiern zu wollen (auch weil er sich gegen das Starsystem der Musikindustrie mit aller Macht stemmt): Der Mann ist eine Legende und von seinen unzähligen Bands der letzten 25 Jahre, waren insbesondere Angeschissen und Blumen am Arsch der Hölle für mich das wohl prägendste Punkerlebnis meiner Adoleszenz. Rachut ist der große Grantler des Deutschpunks. Eine Mischung aus Mark E. Smith, Axel Prahl und Punkrock. Rachuts Texte sind skurille Alltagsbeobachtungen voller Zynismus. Zustandsbeschreibungen seiner depressiven Seele genauso wie Kampfansage gegen die normative Spießigkeit und das Richtige Leben im Falschen. Und dazu kann man auch noch pogen.
Rachut ist mittlerweile 53 Jahre alt, aber die emotionale Intensität seines Liveauftritts lässt sein Alter vergessen. Und Rachut ist dabei die uncoolste Persönlichkeit des Abends. Sein Stylebewußtsein liegt auf Hartz 4 Niveau. Er trägt Shorts von KIK, weiße Slipper und ein schlabberiges Hemd mit unsagbar schlechten Wildkatzenaufdruck. Was bei anderen Leuten ein modischen Statement wäre, ist bei Rachut einfach nur normal. Oder höchstens der Ausdruck für den Beschiss, den das Leben bereit hält...

Kommando Sonne-Nmilch – Faltenaffen

Wenn es Nacht wird und du schläfst, und dir fehlt ein Traum
Wenn es Herbst ist in deinem Leben
Wenn die Faltenäffchen kommen und dein Sack wird grau
Depressionen kommen und gehen

Wenn du leicht vergrätzt über Jugend hetzt und dein Kater wird zum Tiger
Deine Sätze, die du sprichst mit Frühjahranfang, wird es Zeit dir zu erklären

Da hilft kein Heulen, da hilft keine Creme
Man muss den Affen das Futter stehlen

Ist dein Körper welk, wie ein totes Krokodil
Deine Freundin sucht das Weite.
Sie hälts nicht aus, weil du am Jaulen bist
Und die Affen sind am Falten

Brillenträgerschlange
Faltenarschmatrose
Vergesslichkeitskaiser
Thrombosenkrebskollekte
Zukunftsangstbesitzer

Da hilft kein Schreien, da hilft keine Creme
Man muss der Scheiße ins Auge sehen

Frierst du immer mehr, sind deine Füsse kalt
Ruft der Tod dir ins Gewissen
Will er plötzlich, dass du eher kommen sollst

Lach doch mal!

28 September 2010

Martin Büsser gestorben

Tief erschüttert musste ich die Nachricht vom Krebstod Martin Büssers vernehmen. Martins Musikgeschmack und seine Gedanke dazu, seine Texte und Bücher waren für mich seit fast 20 Jahre eine Quelle der Inspiration...

24 August 2010

29 Juli 2010

Wir sind die Nattern...

Die aktuelle Ausgabe des Kulturspiegels macht mit einem Interview mit Daniel und Angela Richter auf. Daniel Richter, der seine Karriere als Zeichner für das Cover des ersten Angeschissen-Album begann und dessen Bilder jetzt sechsstellig verkauft werden, ist längst im Hochkulturbetrieb angekommen und gestaltet in dieser Saison Szenenbilder für die Salzburger Festspiele. Seine Frau Angela ist ebendort als Regisseurin tätig.
Daniel Richter hat sich immer explizit zu seinem linksautonomen Hintergrund bekannt und nutzt, trotz seiner vielfältigen Verbindungen zur kommerziellen Kunstwelt, seine Medienpräsenz zur Kritik am Waren- und Marketingfetisch der Kunst. Zuletzt im Rahmen der Besetzung des Hamburger Gängeviertels. Naheliegend, dass der Kulturspiegel diesen Widerspruch zwischen linkem Selbstverständnis und Hochkulturpopanz aufnimmt. Angela Richters Replik dazu: "Vielleicht sind wir ja die Nattern, die sich an deren Busen nähren"

27 Juli 2010

Recommended Listening (Pt. 1)

Kein Sommer der Liebe

Greie Gut Fraktion „Baustelle“
anbb „Red Marut Handshake“

Wie kommt es eigentlich, dass nach jahrelangen intensiven Konsum an Musik und dem gegenwärtigen Überangebot dergleichen, es immer wieder Platten gibt, die hängen bleiben und einen Eindruck hinterlassen? Welchen Softspot sprechen diese Platten an, auf das man anfängt sich mit dieser Musik auseinanderzusetzen, in repeat zu hören und den Referenzkasten zu durchwühlen?
Es sind zwei Platten aus Berlin, die im diesjährigen Sommer für mich heraus scheinen. Keine Sommerplatten für den Baggerseekurzurlaub oder zum Warmes-Bier-Im-Park trinken, sondern Platten die spröde, sperrig, substantiell, kunstvoll, ambitioniert und schwierig sind. Platten, die dorthin gehen wo es weh tut, die Aufarbeitungen provozieren und Universen aufeinanderprallen lassen. Und sich auf eine Weise ähneln, die kein Zufall sein kann. Sind sie doch einmalige Kollaborationen von sich gegenseitig schätzenden Künstler/innen, die ihre verschiedenen Erfahrungen aus Ost/West und Achtziger/Neunziger/Tausender-Jahre miteinbringen.
Die Greie Gut Fraktion besteht aus den Antye Greie und Gudrun Gut. Gudrun Gut hat in den letzten dreißig Jahren die Berliner Undergroundmusik geprägt wie keine andere Frau dieser Stadt: Neubauten, Malaria, Monika Enterprises und Ocean Club. Antye Greie hat mit der Band Laub knarzende Pop-Elektronik mit sperriger Kunstlyrik verbunden und war beim seeligen Kitty Yo-Label zuständig für den Link zum Diskurs zur Kunstakademien. Beide zusammen haben jetzt als Greie Gut Fraktion die Platte "Baustelle" veröffentlicht, auf dem sie Fieldrecordings von, nun ja, Baustellen benutzen, elektronisch aufarbeiten und mit manchmal mehr, manchmal weniger holprigen Beats unterlegen. Was klingt erstmal wie pures Gähnen, ist aber höchst ambitioniert und mehr als gelungen. So verwebt sich der Klang von Betonmischern, Bohrhämmern, Akkuschraubern und Kettensägen kunstvoll zu dub-ambient-elektronischen Soundcollagen voll kühler Athmospähre die gleichzeitig Zerstörung und Aufbau atmet. In "Cutting Trees" hört man das Surren einer Motorsäge, während ein Stimme im Hintergrund haucht "cutting trees give space", der Palais-Schaumburg-Klassiker "Wir bauen ein Stadt" wird zum urbanen Baustellen-Dub mit allerlei Maschinengeräuschen und "Mischmaschine" recycelt das Geräusch eines Betonmischers zum Beat eines Dubstep-Ungetüms.

Zum Duo anbb haben sich Alva Noto aka Carsten Nicolai und Blixa Bargeld zusammengefunden. Carsten Nicolai hat sich in den letzten Jahren einen Namen als technokratischer Künstler und Musiker gemacht, der seine Werke fast bis zur Unkenntlichkeit reduziert. Blixa Bargeld ist als Sänger der Einstürzenden Neubauten fast schon ein Kulturdenkmal. Zwar hat er in den letzten Jahren wenig aufregendes produziert, doch ist sein Stimme und lyrisch-romantische Kraft immer noch ein hell strahlender Stern am Himmel. Mit anbb treffen beide Ansätze perfekt aufeinander. Da ist die kalt-minimalistische Elektronik samt auftretender Störgeräusche des Carsten Nicolai, die sich an der schrill-markanten Stimme des Blixa Bargeld reibt, die in diesem Umfeld wiederum selbst zum Maschinegeräusch mutiert, ein Konzept, das schon die Neubauten in ihrer Anfangszeit, freilich mit analogen Mitteln, perfektionierten. Beide Ansatzpunkte zusammengefasst finden eine perfekte Mischung und so entstand mit "Red Marut Handshake" ein Platte, die wie feindliche Wetterzonen zu einem düsteres Gewitter aufeinanderprallen und sich in schillernden Farben entlädt.

13 Juli 2010

Tuli Kupferberg gestorben

Tuli Kupferberg, Bohemian, Beatnik, Anti-Kriegs-Aktivist, Maler, situationistischer Aktionist, Sänger der Proto-Punk-Band The Fugs ist gestorben.
"Our goal was to make the revolution. That would have been a complete revolution, not just an economic or political one. We had utopian ideals and those are the best ideals. What happened was that this movement that flourished then had a lot of problems. "
Den Song "CIA Man" dürften alle kennen die den Film "Burn After Reading" gesehen haben...